Sterben wollen.

Es ist zehn Jahre her, da wollte ich sterben. Ich kann es nicht glauben, es ist, als hätte ich gerade meine Augen geschlossen und mich mit dem Sterben arrangiert, und jetzt öffne ich sie wieder und es sind zehn Jahre vergangen, und ich habe weitergelebt. Heute vor zehn Jahren wollte ich sterben, und wenn ich sage, ich kann es nicht glauben, dann meine ich nicht- den Gedanken, dass ich sterben wollte. Ich kann es nicht glauben, dass ich trotz oder gerade wegen alledem, trotz und wegen all meiner Sehnsüchte und Ängste, mich entschieden habe weiter zu leben.

In all der Zeit haben meine Eltern graue Haare bekommen, einige verdanken sie sicher mir. Und ich habe kleine Grübchen bekommen, Falten an meinen Mundwinkeln, vom Lachen und Kotzen mit Sicherheit.

Was habe ich gelacht, in all den Jahren. Was habe ich gelacht. So leer und trüb meine Gedanken waren, so voll war all mein Sein. Was habe ich wunderbare Freunde gehabt, mit denen ich lachend auf dem Boden lag, und was habe ich für wunderbare Drogen gehabt.

Und Gott, so viel habe ich gekotzt. Mit meinem Erbrochenen von meinem 15. bis zu meinem 24. Lebensjahr kann man Meere füllen. Berge erbauen. Was habe ich gefressen und gekotzt, was habe ich mir mit meinen Fingernägeln die Kehle wund gekratzt und meinen dürren Körper über die Kloschüssel geworfen- und was hatte ich für gemeine, widerliche und abscheuliche Drogen, die mich brechend wie ein Wasserspeier in meiner dreckigen Wohnung haben fast jämmerlich verrecken lassen.

Es ist zehn Jahre her, da wollte ich sterben- und was habe ich viele Menschen sterben gesehen in den letzten zehn Jahren. Meine Freundin, die mit mir sterben wollte und es dann doch alleine getan hat nachdem sie mir das Leben rettete. Der Junge der mit meinem Exfreund zusammen immer in Ghettosprache gesprochen hat, und ich habe sie beide ausgelacht, weil ich mich für intelligenter hielt als sie beide zusammen. Der Mann, der vermutlich durch die Drogen die er selber verkaufte indiziert einen Schlaganfall erlitt und verstarb. Meine wundervolle Freundin, die lieber eine tote Elfe als eine lebendige, sterben- wollende Frau sein wollte. Und die erste Frau, die ich geliebt habe, die dachte, Heroin würde sie von ihrem Lügengefängnis befreien.

So viele Menschen habe ich getroffen, die heute nicht mehr leben, und jetzt bin da noch ich, die einst sterben wollte und erst mit über 25 Jahren verschwendeter Lebenszeit erkannt hat, dass eines sowieso kommt, so oder so: Der Tod.

Aber nicht das Leben.

~ von borderlinetierchen - Januar 3, 2018.

Eine Antwort to “Sterben wollen.”

  1. „für sophie“…ich kann nicht beschreiben wie sehr mich diese worte berühren, bin ausserstande zu beschreiben was es in mir auslöst. ich möchte dir einfach nur dafür danken.

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