In loving memory.

•August 13, 2020 • Kommentar verfassen

Nach 5 wundervollen gemeinsamen Jahren habe ich dich am 31.07.2020 gehen lassen müssen. Du fehlst mir so sehr, mein Mädchen, mein Seelenhund, mein Schatten, meine treuste Begleiterin. Für immer geliebt, für immer unvergessen, für immer ein Teil von mir.

goodbyeaurora

 

 

Fledermausblues.

•Juli 24, 2020 • Kommentar verfassen

Ich sitze auf dem Balkon und versuche zum ersten Mal in meinem Leben eine Steuererklärung zu verfassen. Natürlich auf dem letzten Drücker, wie denn auch sonst. Gleich geht es zum Stall, der Tierarzt kommt mal wieder. Viele Sorgen mit alten Tieren.
In meinem Unterleib tritt und boxt es. Der hat auch keinen Bock mehr auf mich, der will da raus. Ich kann ihn verstehen, ich hätte ihn auch gerne da draußen, ich bin genervt von der ständigen Übelkeit und fühle mich wie in meinen schlimmsten Bulimiezeiten. Ab und an fliegt eine Fledermaus vorbei. Tatsache, tagsüber. Der erste Balkon meines Lebens mit Fledermausbesuch. Dafür mag ich ihn, und für den Ausblick über die Dächer der Nachbarn hinweg.
Ich bin so stumpf und so taub geworden dieses Jahr. Da ist fast nichts mehr. Keine Freude, keine Vorfreude, kein Spaß, keine Spannung. Alles was da ist, ist Traurigkeit, schnöde dumpfe Melancholie, immer und immer wieder die gleiche Leier, auf und ab. Und Angst. Ich hoffe, dass sich das ändert, wenn er auf der Welt ist, dass ich dann vielleicht einfach ein neuer Mensch sein kann, dass irgendetwas passiert und ich endlich etwas anderes fühle wieder als Trauer und Angst.

Und wenn nicht?
Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich habe mich verloren, und ich muss mich wiederfinden. Dieses verrückte Mädchen voller Gefühle, wo auch immer sie hin ist, ich brauche sie, momentan mehr dann je. Die Welt ist grau ohne sie.

Happy Birthday.

•Mai 13, 2020 • Kommentar verfassen

Eines Tages nehmen wir Abschied. Es passiert einfach, wir waren überhaupt nicht darauf vorbereitet. Unser Unterbewusstsein hat Wochen um Wochen, Monate um Monate und Jahre um Jahre uns Schritt für Schritt diesem Tag näher gebracht, aber wir selber haben nichts davon gemerkt. Wir wussten nicht, welchen Weg wir gehen.

Eines Tages wachen wir auf, und der Weg liegt hinter uns. Wir blicken zurück auf Berge und Täler, auf Abgründe und tiefe Schluchten, auf dornige und steinige Trampelpfade und breite, viel befahrene Gassen. Wir wissen nicht mehr, wie wir es geschafft haben, diese Berge zu erklimmen und diese Dornen zu besiegen. Wir wissen noch, wir sind gestürzt, wieder und wieder, und dann sind wir wieder aufgestanden.

Und irgendwo, am Rande von unseren Wegen, da waren Menschen. Menschen die uns ihre Hände gereicht haben, die uns Werkzeuge in die Hand gegeben haben um das Gestrüpp zu enfernen, die uns gehalten haben, wenn wir beinahe abgestürzt wären, und die einen Teil dieses Weges mit uns gegangen sind, manche vor uns, manche hinter uns und manche an unserer Seite.

Eines Tages sind wenige von ihnen noch da, aber wir sind es. Und der ganze Weg liegt hinter uns. Vor uns nur eine Tür, und wir wissen, dass es der nächste Weg sein wird. Aber ein neuer, und die Tür wird sich hinter uns schließen ohne Rückkehr. Die Menschen, die nicht mit uns durch diese Tür gehen, die bleiben für immer unsere Vergangenheit. Aber wir werden sie nie mehr wiedersehen.

Eines Tages ist dieser Moment gekommen, und wenn er kommt, dann hattest du keine Ahnung. Du wusstest nicht, dass er wirklich existiert, du hast ihn für ein Mysterium gehalten, deine ganze Kindheit und Jugend lang, du dachtest, er wird niemals kommen. Aber du bist darauf zugelaufen, ohne es zu realisieren.

Eines Tages nehmen wir Abschied. Von unserer großartigen, turbulenten Jugend. Von Kummer und Leid, von Liebe und Freude. Von Menschen. Von Lebewesen. Wir stehen vor dieser Tür, und unser Herz schlägt so schnell dass es uns den Atem verschlägt.

„Ich wollte nie erwachsen sein.“, murmelt sie. Ein zaghaftes Lächeln in ihrem Gesicht. Ich schließe die Augen und kann sie sehen, wie sie diese Tür aufstößt. Ich kann ihre Angst spüren.

„Keep going.“, wispere ich.

Dann geht die Tür auf.

keep rollin.

•April 12, 2020 • 2 Kommentare

Weil der letzte Eintrag so depressiv war (was nicht heißt, dass es dieser nicht wird) wollte ich mal wieder ein Lebenszeichen hinterlassen, falls hier noch jemand mitliest. Jap, sie ist noch da.

Ich kann schlecht sagen „keep going“, weil momentan bin ich bei „keep rollin“. Ich hatte vor ein paar Wochen einen Unfall und habe mir das Sprunggelenk gebrochen, ich rolle also höchstens mit einem geliehenen Rollstuhl vorran oder hüpfe mit Krücken durch die Gegend.
Das letzte Jahr war unerwartet gut. Wahrscheinlich weiß ich es erst jetzt, weil dieses Jahr so unerwartet beschissen begonnen hat, und ich mir die Fotos vom letzten März und April ansehe und realisiere- es war ein guter Frühling und ein guter Sommer. Ich habe mich gefühlt, als könnte ich alles schaffen.
Ich habe den Job gewechselt, ein Fernstudium begonnen, einen Kredit aufgenommen und eine Eigentumswohnung gekauft. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben alleine stark gefühlt. Ich habe zugenommen, die Benzos und Schlaftabletten und Schmerzmittel auf denen ich kleben geblieben war wieder abgesetzt. Die Herzrythmusstörungen haben aufgehört. Ich war in der Sonne, so viel, mit den Pferden unterwegs. Ich habe beschlossen nicht zu sterben, als ich kurz davor war es wieder zu versuchen, und habe versucht mir stattdessen meine Wünsche auf anderen Wegen zu erfüllen. Es war ein gutes Jahr, und dann war es vorbei.

Und jetzt sitze ich seit Ende Februar auf dem Sofa während draußen eine mysteriöse Pandemie um sich schlägt und weiß, es war ein gutes Jahr letztes Jahr, und es geht mir beschissen. Ich habe mich noch nie so verletzlich gefühlt. So alleine, so traurig alleine. So einsam. Ich fühle mich, als wäre all das was ich letztes Jahr dachte erreicht zu haben eine Illusion gewesen. Und alles spukt in meinem Kopf herum, alles, jeder. Er. Jahre sind vergangen, und alle Geister der Vergangenheit sind wieder da, und nichts, nichts fühlt sich schlechter an als jetzt, dieser Moment jetzt.

Ich fühle mich, als wäre alles, was ich letztes Jahr dachte, erreichen zu können, Humbug. Weil jetzt bin ich schwach und klein und nicht mal in der Lage, mir selber eine Tasse Tee zu kochen und zum Sofa zu bringen.
Als wäre alles eine Illusion gewesen.
Und das ist schlecht, weil letztes Jahr hatte ich die Idee, ich könnte auch ohne Partner eine gute Mutter werden.
Und heute fühlt sich diese Idee an, wie eine riesige Illusion.

Und heute bin ich schwanger.

haha, schon wieder nicht geklappt :D

•Februar 17, 2019 • 2 Kommentare

Ich habe Urlaub.
Ich liege dicht auf dem Sofa und habe Urlaub. 9 lange Tage. Für jeden Tag habe ich mir einen Badezusatz gekauft. 46,4 Kilo. Ich habe mir geschworen, ab 45 trinke ich Fresubin. Ich kämpfe also wacker, kiffe und fresse dann, um dann zusammengerollt wie ein Faultier mit Winterjacke an im Bett zu liegen.
Auf der einen Seite- da bin ich glücklich und zufrieden mit meinem Leben. Ich liebe es echt. Die verdammten scheiß pinken Wände, die mich verfolgen. Die wirre Vergangenheit, die Stimmen im Kopf. Scheiß drauf. Ich habe ein sicheres schönes „Zuhause“, Menschen die mich mögen, meine Hunde, Pferde, den Job. Ich kann alles schaffen wenn ich nur will.
Auf der anderen Seite- da will ich nur noch sterben.
Einfach eine Packung von meinen Betablockern nehmen. Ein paar hundert Einheiten Insulin, eine nach der anderen bis zum hypoglykämischen Koma. Morphium. Ich könnte alles tun wenn ich nur wollte. Und ich habe Angst, weil ich will. Ich bin glücklich, und ich will sterben.
Manchmal, wenn ich Menschen beim Sterben zusehe, und das tue ich oft während meiner Arbeit- da frage ich mich, ob das der Reset- Button ist. Ob man neu startet. Ein neues Leben.
Ein neues Leben als eine Person. Als ein Leben, eine Vergangenheit, eine Zukunft. Als Mensch der anderen Menschen nahe kommen kann. Lieben kann. Kinder bekommen, eine Familie gründen, Enkelkinder haben, in Frieden sterben. Irgendwo in nem Hospiz mit Shetlandponys. Dieses Leben, das werde ich niemals bekommen, nicht dieses Mal. Was, wenn der Tod der Reset- Button wäre, warum mich dann noch länger quälen?

by the way: nope, keine #suizidandrohung oder #110 oder so nen Quatsch. Natürlich nicht, sonst würde ich das ja wohl kaum posten. Nur diese Gedanken, die kenne ich, die gehen vorbei. #keepgoing

 

After the war.

•Oktober 27, 2018 • 3 Kommentare

Ja, ja ich habe überlebt. Bulimie, Magersucht, Sucht, Suizidversuche, Panikattacken. So viele sind daran drauf gegangen, ich habe alles überlebt. Ich sollte glücklich sein. Ich habe überlebt. Und jetzt bin ich alleine. Alle Beziehungen sind daran zu Bruch gegangen, meine Familie weit weg und so viele mir so fremd, meine Freunde die mir nah waren entweder tot oder weit weg. Überleben ist nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
„Cause of all we fight and all we’ve tore
There’s no life left after the war“

Blässe.

•August 27, 2018 • Kommentar verfassen

„Blass sehen Sie aus.“, sagt meine Dozentin in der Schule. Ich zucke mit den Schultern. Ich glaube, ich sehe so seit Wochen und Monaten aus, zumindestens fühle ich mich so, keine Ahnung, warum es jetzt jemandem auffallen muss, wo ich doch eigentlich gar nicht mehr angesprochen werden will. Die Zeit ist vorbei.

Blässe passt gut zu dem Gefühl, am Boden zu sein. Ich habe Versagensängste so kurz vorm Examen, dass meine frühere Klausurenpanik echt Peanuts dagegen waren. Mein Kopf ist leer, und alles was ich dort reinpresse, kommt als Diarrhoe auf der anderen Seite des Körpers wieder heraus, so scheint es mir.

Alles ist blass. Der Nebel draußen, der das Ende des Sommers einleitet. Die Erinnerung an den Menschen der ich einmal war, und den ich vermisse. An meine Freunde, die ich vermisse, an die Zeit als es Orte gab, an denen ich mich nicht verstellen musste. Alles verblasst. Ich denke über Mouse nach, und mir fällt auf, wie blass die Erinnerung geworden ist. Die Telefonnummer, die ich jahrelang noch eingespeichert hatte, bis irgendwann das neue Handy kam und ich vergessen habe sie zu übernehmen. Die Nachrichten im Forum, die es nicht mehr gibt, weil das Forum lange nicht mehr existiert. Alles ist verblasst. Als wäre damals ein anderes Leben gewesen.

Ich bin so müde, dass ich es kaum beschreiben kann. Ich lebe so ein gutes Leben, und bin es so Leid. Alle Ziele kommen mir vor, als wären sie es nicht wert, alles Streben ist so blass und so leise geworden.

Vielleicht hilft es, ins Solarium zu gehen. Vielleicht auch nicht.

Für Sophie

•April 25, 2018 • Kommentar verfassen

Vielleicht war alles was sie wollte ein wenig Verstehen. Etwas Wissen, in all dieser Ahnungslosigkeit. Vielleicht war es das.

Als ich sie das erste Mal treffe, da leuchten ihre Augen. Ihre langen, wallenden Haare glänzen, wie frisch von einem dieser Weleda-Werbeplakate herabgestiegen steht sie da und sieht mich an. So viele Jahre ist es her, und doch kommt es mir vor, als wäre es gestern gewesen. Ihre steingrauen Augen taxieren mich, sie halten meinen Blick fest in der Horizontalen, es gibt keine Chance, ihr auszuweichen oder den Blick zu senken. Viel zu verloren bin ich in ihren Augen, in denen eine Welt verborgen zu liegen scheint, die weder sie noch ich jemals begreifen werden. Ich strecke meine Hand nach ihr aus, und lächele, und sie erwidert mein Lächeln, ein kongruentes gerades Lächeln hinter gebleckten Lippen, die durstig den Atem der Welt inhalieren. Sie hat so viele Träume und Wünsche, dass ihr ganzes Antlitz zu beben scheint vor Begierde danach, die Türen aufzustoßen und in die Welt hinauszubrechen, wie ein Orkan, der ewig lebt.

„Vielleicht,“, sagt sie, und ihre braungebrannten Hände drehen eine kleine Locke in die braunen Haare, gleiten durch das nach Apfelshampoo riechende Meer hinweg und wischen eine Haarsträhne von ihrer mit Sommersprossen übersäten Nase. „Vielleicht will ich Tiermedizin studieren. Oder Medizin. Psychiaterin werden wäre cool. Oder Pathologin.“ Sie lacht und bleckt mir ihre Zähne entgegen, bevor sie an ihrer Zigarette zieht und kleine weiße Traumwolken in die Luft hinaufsteigen lässt. „Und lieben.“, sagt sie. „Ich will lieben. Eine Frau oder einen Mann, wen auch immer, und ich will mit ihm oder ihr um die Welt reisen. Nach Afrika. In die Sahara. Und zu den Polarlichtern, ich will unbedingt die Polarlichter sehen!“
„Du,“, will ich sagen, „du bist ein Polarlicht.“ Aber ich schweige, weil sie gerade so in ihrem Elan zu sein scheint, und so durstig und hungrig nach Leben dass meine Worte sie wahrscheinlich nicht interessieren werden. Vielleicht würde sie sie gar nicht hören, würde ich jetzt sprechen.

Als ich sie das nächste Mal sehe, ist der Tag vergangen, und der Abend ist aufgezogen. Irgendwo ein Licht am Horizont, vielleicht der Mond, vielleicht auch eine Straßenlaterne. Ihre Augen glänzen, die braungebräunten Arme umklammern ihren wunderschönen Körper. Sie lächelt und sieht mich an. Ihr Atem riecht nach Alkohol, es ist Partyzeit verstehe ich, endloses Tanzen und Schweben, Lachen und Beben und Vergehen.
„Ich vergehe in mir.“, sagt sie, und obwohl ich nicht weiß was sie mir damit sagen möchte, kann ich es spüren. Da, wo wir sonst nichts spüren, da fühle ich ihre Worte. Ihre Haare sind so wunderschön, sie sind nass und stinken nach Zigarettenrauch, aber sie sind immer noch wunderschön. Ich will es ihr sagen, dass sie wunderschön ist, aber ich weiß, dass der Moment nicht passen würde.
„Als ich nach Hause gegangen bin,“, sagt sie. „Da lag da diese Katze. Überfahren. Keine Augen mehr in ihrem Schädel, nur Augen auf der Straße, wie eine Suppe, ein Eintopf, Champignons auf der Straße, gedünstet in Blut und Autoreifen.“ Ich nicke. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich will sie an die Polarlichter erinnern, aber der Zeitpunkt scheint mir nicht passend zu sein.
„Kannst du den Mond sehen?“, fragt sie mich. Ich blicke in den Himmel und betrachte das kleine, weiße Licht über uns. „So voller Schatten.“, sagt sie, und zieht den Schleim in ihrer Nase in ihre Kehle, bevor sie sich mit ihren kleinen Händen unschuldig über die Sommersprossennase wischt. Auf einmal bebt der schmale Körper, ein Lachen steigt aus ihrer Kehle hervor und erleuchtet die Nacht.
„Lass uns feiern!“, ruft sie aus, dreht sich um und rennt davon, ihre nackten Füße klatschen über den Asphalt, die Pumps in der Hand und die nassen Haare im Gesicht.

Ein paar Mal treffen wir uns noch, in solchen Nächten. Meistens schweigt sie, und die Jahre vergehen im Schweigen.

In einer Nacht, da schweigt sie nicht. Der Mond ist lange hinter den Wolken verschwunden, das Gewitter schon längst aufgezogen und vorrübergegangen, aber sein Beben ist geblieben, der Donner lebt in ihr und das Blitzen in ihren Augen berührt eine Welt in mir, deren Namen ich nicht weiß. „Ich habe die Liebe gefunden!“, sagt sie. Ihre Stimme klingt kalt und belegt, und ich überlege, ob sie krank ist. Wie eine Grippe, eine Infektion die nie vergeht. Um ihren Hals schimmert eine Kette aus rosafarbenen Handabdrücken, zarte Würgemale, die sie zieren wie eine Kriegerin. Ich kann meinen Blick nicht von ihrem Hals abwenden. Ihre Haare verbergen das Meiste, aber ich kann die Kette sehen, klar und deutlich, wie ein Hilfeschrei der niemals wieder verstummen wird. In ihrer Hand eine kleine, rosafarbene Tablette mit einem Herzemblem.
„Das ist Liebe.“, sagt sie, und lacht. Es ist das dunkelste Lachen, das ich jemals von ihr gehört habe. Ich will sie fragen, was mit ihrem Studium ist. Für welchen Weg sie sich entschieden hat, und ob sie schon verreist ist. Weil mir die Worte fehlen, schüttele ich nur schweigend den Kopf.
„Afrika?“, sage ich schließlich.
„Afrika.“, wispert sie. „Irgendwann.“ Dann führt ihre erblasste Hand die Tablette zu ihrem Mund, sie streckt mir ihre belegte Zunge heraus und legt die Tablette darauf ab. „Afrika ist Liebe.“

Ich vermisse sie. Dieses wunderschöne Mädchen, das ich kennengelernt habe. Das mir so viel Hoffnung gegeben hat. Das vermisse ich, und weil ich das Vermissen nicht ertrage wende ich mich von ihr ab und lasse sie einige Jahre alleine ihren Weg gehen. Sie wird ihn schon finden, damit tröste ich mich in manchen schlaflosen Nächten, in denen ich den Mond betrachte und mich frage, ob sie schon das Licht geworden ist, oder ob die Schatten sie zerfressen haben.

Irgendwann erfahre ich, dass sie in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Anstalt eingeliefert worden ist. Ich beschließe, dass ich sie besuchen muss. Dass ich es muss, weil ich es ihr schuldig bin, und obwohl sich alles in mir dagegen sträubt, stehe ich eines Tages in dieser Klinik, inmitten von weißen, sterilen Wänden. Desinfizierte Hände öffnen mir die Türen, mit einem metallischen Klacken rastet das Schloß hinter mir ein. Die Luft riecht nach infizierten Menschen, nach einem Virus den niemand so ganz begreifen und fassen kann, aber der existiert, irgendwo in unserer Gesellschaft, hinter verschlossenen Türen und in den letzten Winkeln unserer Städte und Dörfer. Ihre Haare riechen wieder nach Apfelshampoo, aber der Duft der Resignation hat sich über sie gelegt, wie ein Schleier aus einer Zukunft, die uns alle erwartet.

„Ich habe gesucht, aber nie gefunden.“, sagt sie, und ich weiß, was sie meint, ohne dass sie ihre Worte näher erörtern muss.
„Ich weiß.“, sage ich. „Ich weiß.“
Und dann nehme ich ihren Kopf in meine Hände und wiege sie in den Schlaf. Sie ist so dünn geworden. Soll ich ihr sagen, dass sie an falschen Orten gesucht hat? Soll ich ihr sagen, dass sie das Licht gewesen ist, und dass sie kurz davor steht, es auszulöschen? Ich entscheide mich dafür, zu schweigen. Sie wirkt so krank und verletzlich, wie ein ausgetrocknetes Flußbett liegt sie in meinen Armen. Ihr Körper zittert, ganz sachte, wie ein letztes Aufbäumen in einem Jahre andauerndem Kampf um Gerechtigkeit. Ich kann den Wahn in ihr spüren. Gierige, kleine Händen strecken sich aus ihrem Herzen empor und ziepen an meiner Kleidung. Während ich sie in den Schlaf wiege, da erschlaffen die Hände irgendwann, und ich bin erleichtert, dass sie mich nicht zu fassen bekommen haben. An mehr denke ich nicht.

Ich sehe ihr zu, wie sie wieder aufsteht, am nächsten Morgen, und wie sie beginnt, dem Wahn zu begegnen. Ich beobachte jahrelang ihre Schritte zurück in diese Welt da draußen, und frage mich, dann und wann, wie es so weit kommen konnte.
Eines Tages, da beschließe ich, sie noch einmal zu besuchen. Ich will ihr sagen, dass ihre Träume noch nicht vorbei sind. Dass Afrika wartet, und dass sie das Polarlicht ist.
Erst, als ich ihr gegenüberstehe, da bemerke ich, dass das nicht mehr das Mädchen ist, dem ich vor so vielen Jahren das erste Mal begegnet bin. Die Zeit ist kein Anker, sie ist ein Boot, und sie schwimmt weg, solange du denkst, sie würde still in ihrem Hafen liegen und auf dich warten. Genauso ist sie geschwommen, immer weiter und weiter, und jetzt, wo ich das weiß, da weiß ich, dass es falsch war, zu warten. Dieses wunderschöne Mädchen voller Licht, das ist weggeschwommen, während ich mir überlegte, wie ich ihr sagen kann, was ich ihr sagen will. Da sitzt sie, entkräftet und ermüdet.
„Weißt du was Gliederschmerzen sind?“, sagt sie. Ich kann mir vorstellen wie sich das anfühlen muss, nach all dem Jahren voller schwimmen, stromauf- und stromabwärts, und doch nie ans Ziel kommend, also nicke ich.
„Ich bin müde,“, sagt sie, und mir fällt auf, dass ihre Augen grau geworden sind, wie die Steine in ihrem ausgetrockneten Fluß.
„Ich bin so müde, dass ich mich frage, wo das Bett ist, aus dem ich nicht mehr aufstehen muss. Ich weiß, was du denkst, aber dem ist nicht so. Ich bin perfekt. Ich bin perfekt angepasst, perfekt arbeitend, es reicht mir, nette Bilder von Afrika und den Polarlichtern auf Facebook zu betrachten und zu wissen, dass es Menschen gibt, die ihre Träume erreicht haben. Ich like ihre Beiträge. Das ist fast, als hätte ich es selber erreicht, verstehst du?“

Ich verstehe nicht. Ich habe keine Ahnung, wer oder was Facebook ist, aber ich verstehe, dass etwas passiert ist, das ich hätte verhindern können. Endlich, nach all den Jahren, spüre ich, dass es keinen geeigneten Zeitpunkt gibt. Nur heute. Es gibt nur heute.

„Du bist das Licht!“, sage ich.
Ich kann sehen, wie meine Worte an einer unsichtbaren Wand vor ihrem Antlitz abzuprallen scheinen, dort, wo früher eine Tür war, durch die ich ihr begegnen konnte, wann immer ich wollte, ist heute eine Mauer, die für mich unüberwindbar scheint. Sie hört mich, aber sie versteht mich nicht.
Sie lächelt, müde, ihre Mundwinkel zucken nervös. Eine Weile scheint sie über meine Worte nachzudenken, oder über ihre Worte, oder über beides.
„Wenn du jemals wieder einem Menschen wie mir begegnest,“, sagt sie dann. „Einem Menschen, der jung ist und frei wie der Wind- dann sag ihm das. Sag es ihm, bevor er denkt, er müsste das Licht in anderen Menschen finden. Sag es ihm, bevor er zu müde ist, um das letzte Streichholz anzuzünden.“ In ihren grauen Augen in dem bleichen Gesicht blitzt es kurz auf, und eine einzelne Träne bahnt sich den Weg in das Leben. Ich will ihr die Träne wegwischen, ihren Kopf in meine Arme nehmen, so wie damals in der Psychiatrie, und strecke ihr meine Hand entgegen. Aber meine Hand prallt gegen das kalte Glas des Badezimmerspiegels, der zwischen uns beiden steht. Ein Fingerabdruck bleibt auf dem Glas zurück. Meiner oder ihrer? Ich weiß es nicht.

„Du bist erwachsen geworden.“, sage ich, und die Trauer überrollt mich wie eine Welle.
„Ja,“, sagt sie. „Ich wollte nie erwachsen sein.“
Und dann weinen wir beide, als hätten die Jahre uns niemals getrennt.

„Ich werde dich nie vergessen.“, sage ich schließlich. „Ich werde dich nie vergessen, und ich werde immer an dich denken. An dein Lachen, deine Jugend und deine Schönheit. An dein Leid und dein Elend, deine ewige Suche- und daran, wie du in Vergessenheit geraten bist werde ich auch denken, auch dann, wenn du alt und grau geworden bist und niemand deine Geschichte mehr kennt. Ich werde an deine Träume denken, an deine Wünsche und an deine Ziele. An die großartige Tierärztin oder Pathologin die du hättest werden können, an die Familie die du hättest gründen können, an die Polarlichter, die du so gerne sehen wolltest und an die Afrikareise, die du hättest unternehmen können und für die du heute zu müde geworden bist. Und, ich verspreche es dir: Ich werde es ihnen sagen. Jedem, dem ich begegne, der so ist wie du es einmal warst, dem werde ich sagen, dass er das Licht ist. Ich verspreche es dir.“

Du bist das Licht.

Hallo, Otto. Da sind wir also.

•März 10, 2018 • Kommentar verfassen

Ich bin die, die sich einfach in euer Leben gemogelt hat. Manchmal komme ich mir so vor, wie ein Trugbild, wie eine Illusion. Als wäre nichts von alledem real.
Ich sehe mir eine neue Wohnung an, mit großem Garten für die Hunde, und die Vormieterin lächelt mich an und fragt mich, ob sie mich irgendwoher kennt. Und erzählt mir, ganz beiläufig, weil sie und ich feststellen dass wir beide in der Pflege arbeiten, dass sie mal in der Klinik gearbeitet hat, in der ich als letztes Therapie gemacht habe.

Was soll ich sagen? „Ja, klar, kann sein dass du mich da mal als Patientin gesehen hast wo du früher gearbeitet hast!“
Ich war der Wahnsinn, und ich fühle mich, als wäre ich es immer noch. Ich kann nur atmen wenn der Himmel brennt. Wenn der Stress und die Schmerzen mich erschlagen, dann kann ich atmen. Aber wehe, ich komme zur Ruhe. Dann, ganz plötzlich, bin ich alleine mit all meinem Wahnsinn, und mir fehlt jemand, mit dem ich ihn teilen kann. So wie früher. Aber früher ist tot.

Ich werde bald 30. Bald habe ich meine verspätete Ausbildung beendet. Die meisten meiner Narben sind von Tattoos bedeckt. Bald habe ich wieder eine eigene Wohnung, dann endet ein Kapitel, das vor vier Jahren begonnen hat. Das Kapitel als Endstation-Junkie. Das ist vorbei. Und die Borderline- Braut, die auch, schon lange. Dann kommt das Kapitel Ottonormal-Arbeitnehmer.

Mein Wahnsinn und Otto, Otto Normal, die vertragen sich nicht.
Mein Hund ist alt und grau, und ich bekomme eine Falte. Ich färbe mir die Haare lila, und hoffe, es gefällt dem Otto nicht. Irgendetwas muss ich tun, irgendetwas muss ich dieser Welt entgegensetzen.

Vielleicht sollte ich mein Buch schreiben, das ich so lange schreiben wollte. Und mal wieder einen kiffen. Vielleicht hilft das.

 

Sterben wollen.

•Januar 3, 2018 • 1 Kommentar

Es ist zehn Jahre her, da wollte ich sterben. Ich kann es nicht glauben, es ist, als hätte ich gerade meine Augen geschlossen und mich mit dem Sterben arrangiert, und jetzt öffne ich sie wieder und es sind zehn Jahre vergangen, und ich habe weitergelebt. Heute vor zehn Jahren wollte ich sterben, und wenn ich sage, ich kann es nicht glauben, dann meine ich nicht- den Gedanken, dass ich sterben wollte. Ich kann es nicht glauben, dass ich trotz oder gerade wegen alledem, trotz und wegen all meiner Sehnsüchte und Ängste, mich entschieden habe weiter zu leben.

In all der Zeit haben meine Eltern graue Haare bekommen, einige verdanken sie sicher mir. Und ich habe kleine Grübchen bekommen, Falten an meinen Mundwinkeln, vom Lachen und Kotzen mit Sicherheit.

Was habe ich gelacht, in all den Jahren. Was habe ich gelacht. So leer und trüb meine Gedanken waren, so voll war all mein Sein. Was habe ich wunderbare Freunde gehabt, mit denen ich lachend auf dem Boden lag, und was habe ich für wunderbare Drogen gehabt.

Und Gott, so viel habe ich gekotzt. Mit meinem Erbrochenen von meinem 15. bis zu meinem 24. Lebensjahr kann man Meere füllen. Berge erbauen. Was habe ich gefressen und gekotzt, was habe ich mir mit meinen Fingernägeln die Kehle wund gekratzt und meinen dürren Körper über die Kloschüssel geworfen- und was hatte ich für gemeine, widerliche und abscheuliche Drogen, die mich brechend wie ein Wasserspeier in meiner dreckigen Wohnung haben fast jämmerlich verrecken lassen.

Es ist zehn Jahre her, da wollte ich sterben- und was habe ich viele Menschen sterben gesehen in den letzten zehn Jahren. Meine Freundin, die mit mir sterben wollte und es dann doch alleine getan hat nachdem sie mir das Leben rettete. Der Junge der mit meinem Exfreund zusammen immer in Ghettosprache gesprochen hat, und ich habe sie beide ausgelacht, weil ich mich für intelligenter hielt als sie beide zusammen. Der Mann, der vermutlich durch die Drogen die er selber verkaufte indiziert einen Schlaganfall erlitt und verstarb. Meine wundervolle Freundin, die lieber eine tote Elfe als eine lebendige, sterben- wollende Frau sein wollte. Und die erste Frau, die ich geliebt habe, die dachte, Heroin würde sie von ihrem Lügengefängnis befreien.

So viele Menschen habe ich getroffen, die heute nicht mehr leben, und jetzt bin da noch ich, die einst sterben wollte und erst mit über 25 Jahren verschwendeter Lebenszeit erkannt hat, dass eines sowieso kommt, so oder so: Der Tod.

Aber nicht das Leben.